
Fremde Gespräche: Warum muss mich das interessieren?
Ein anstrengender, ereignisreicher Tag neigt sich dem Ende zu und man sitzt endlich im Bus, um die mehrstündige Heimreise anzutreten. Alles sitzt – die Nackenrolle, die zur Decke umfunktionierte Jacke, die Kopfhörer und sogar man selbst. Die Gedanken werden ruhiger und man sieht sich schon schlafen, oder zumindest den eigenen verträumten Gedanken nachhängen. Es scheint, als hätten die 80 anderen Mitreisenden denselben Wunsch: Ruhe! Doch plötzlich – fünf Minuten nach Abfahrt – betritt Graf Ichmirwicht Igbin den Bus. Lasset die Gespräche beginnen.
Natürlich muss unter 80 Plätzen genau jener gegenüber für ihn frei sein, damit er dort die nächsten DREI Stunden sein überaus wichtiges Leben breittreten kann. Das sind die Momente, wo ich moderne Mobiltelefone, deren Akkuleistung an Wunderdiäten erinnert (nämlich vielversprechend aber komplett sinnlos) verfluche. Oder auch nicht, da Graf Ichmirwicht Igbin ohnehin lauter redete, als meine Musik gewesen wäre. Die Gespräche werden eigenartiger.
Ich verstehe natürlich, dass es wichtig ist, dass der gesamte Bus weiß, dass ER den Bus nur knapp erwischt hatte, weil die eine U-Bahn zu spät gekommen ist und ER auch noch umsteigen musste. Und ER dann in den Bus eingestiegen ist und der Chauffeur (als hätte ich es nicht selbst gehört) gemeint hatte, dass er erst in fünf Minuten losfahren werde.
Es ist mir klar, dass ich wissen muss, dass seine Ehefrau wie deren Mutter ist und er deshalb sehr unzufrieden ist. Aber immerhin hat er dies ja der Frau erzählt, die ihm drei Stunden in Folge zugehört hat (und damit meine ich nicht (nur) mich). Sehr spannende Inhalte der Gespräche.
Natürlich muss ich auch wissen, dass er heute eine Frau aufgehalten hat, die hochwertiges Make Up und Parfum aus einer Drogerie gestohlen hatte. Und dass sie ihn bestechen wollte. Und dass er ein so lustiges Kommentar gemacht hatte, dass sein zuhörender Kollege lachen musste. Es war nur wirklich schade (und total unseriös), dass er ihren Namen nicht erwähnt hatte.
Oder dass er letztens sehr krank war, und sogar 39 Grad Fieber hatte, in Krankenstand war und ihm das aber jemand nicht geglaubt hatte. Leider ist mir bei so viel Info der Firmenname entgangen. Wirklich schade eigentlich. Es hätte den Spannungsbogen sicher länger aufrecht erhalten. Ich liebe solche Gespräche.
Es ist natürlich auch wichtig, dass ich nun weiß, wie er mit Nachnamen heißt, weil er ihn zehn Mal durch den Bus geschrieen hat. Leider hat er nicht verraten, was er heute zum Frühstück-, Mittag- und Abendessen gegessen hatte. Wäre sicher gleich spannend, wie der Rest seines Lebens. Schade! Aber ich denke, er ist der Typ Mensch, dessen Freunde auf Facebook diese Updates sicher nicht missen müssen. Wie wohle die Gespräche in Reallife aussehen?
Da ich in solchen Momenten wirklich überhaupt keine Lust habe, nach so viel Anstrengung auch noch zu diskutieren, wäre ich für folgende Lösungen.
(Eigentlich habe ich vor, demnächst eine Partei zu gründen und fange langsam an, MitgliederInnen zu finden)
- Extrem wichtige Menschen wie dieser extrem wichtige Mensch, sollten zusammen in einem Bus fahren. Dann können sie alle parallel reden und niemand muss irgendwem zuhören.
- Wer die gemeinschaftliche Busruhe stört, muss die restliche Fahrt am Klo verbringen.
- Wer so tut, als wäre sein Leben so interessant, muss sein wahres Leben (ohne aufgeblähte Lügengeschichten) erzählen. Und darf dabei aber nicht weinen.
- Oder sich in die Ecke stellen und Schafe zählen. Sich selbst dabei aber nicht mitzählen.
- Menschen, die wichtiger sind als andere, sollen vor einer mehrstündigen Busfahrt nach Feierabend in ein Sackerl reden. Wenn es voll ist, können sie es der Person geben, die es gerne hätte.
- Für jede Geschichte, durch die Graf Ichmirwicht Igbin andere Leute belästigt, muss er diesen Leuten 1 Euro geben.
Da ich in dieser Hinsicht ein wirklich unwichtiger Zeitgenosse bin, wäre ich hier für eine Zweiklassen-Busgesellschaft. Vielleicht eröffne ich (wie derzeit trendy und fancy) eine Petition. Man weiß es nicht genau.
Hier eine Kolumne über Menschen, die einfach in einem Dialog nicht auszuhalten sind, da es ein Monolog ist.
Nach-genervte Grüße,
Eure Nicole
©Nicole Inez
ich trete der Partei bei !!!!
Oha, super! 🙂 Freut mich 😀
solche Menschen haben im normalen Leben keinerlei Daseinsberechtigung !
ich würde auch beitreten – das wäre endlich mal eine partei, die sich den wichtigen problemen widmet! 😀
Hab mal so was Ähnliches im Zug erlebt und mich geärgert meine Kopfhörer zuhause vergessen zu haben.
Von Punkt drei hätte ich gern ein T-Shirt!
Und die Frage, ob man als unfreiwillige Mithörerin/unfreiwilliger Mithörer bei Verständnisproblemen nachhaken darf, sollte meines Erachtens endlich und grundlegend beantwortet werden.
Sollte ich mit meinem Blog Mal Einnahmen erzielen, bekommst du ein Shirt mit dieser Aufschrift 😀
Ich finde deinen erwähnten Punkt wirklich wichtig. Vielleicht probiere ich ihn demnächst aus 😉
Das ist ein Wort!
Bisher hat mich meine Unwichtigkeit noch jedes Mal davon abgehalten, den zweiten Punkt auszuprobieren. Vielleicht solle man sich hin und wieder wichtiger nehmen 🙂
Das wäre doch ein Grund, sich selbst mal wieder wichtig zu nehmen 😉 haha 😀
Auf die Plätze, fertig, los!
Im Bus entkommst du nervenden Personen nicht so leicht. Deshalb buche ich keine Busrundreisen mehr. Einmal bin ich von München nach Prag mit einem Fernbus gefahren. Das war total chillig-und der Bus fast leer.
Bei mir ist es auch von Fahrt zu Fahrt verschieden…. Hatte auch im Zug schon solche Menschen. Es gibt halt leider immer wieder Personen, die nicht wissen, dass ihre Biographie kein Hörbuch ist, welches die Welt interessiert 😉