Flüchtlinge: Wer hat Angst vor ihnen?

Flüchtlinge: Wer hat Angst vor ihnen?

2016-04-18 15 Von nicoleinez

Mich hat schon lange nichts mehr so sehr berührt, wie die Geschichte diesen jungen Mannes, den ich letztes Wochenende kennengelernt habe. Eigentlich wollte ich einen Radio Workshop machen (was ich auch getan habe) und technisches Wissen mitnehmen (was ich ebenfalls getan habe). Doch die Geschichte des jungen Mannes, der gleich am ersten Abend neben mir saß, hat das eigentliche Thema – Radio – in den Hintergrund gestellt und mein Herz berührt.

Der Leiter des Workshops hatte uns die Aufgabe gegeben, dass wir uns gegenseitig in Zweiergruppen zu bestimmten Fragen aufteilen sollten. Wir saßen nebeneinander auf der Ledercouch und tasteten uns vorsichtig mit Fragen und verstohlenem Lächeln aneinander heran. Er sei Flüchtling und wolle hier mitmachen, um seine Geschichte zu erzählen. Es war einer der Momente, die man erst Tage später in seiner vollen Bedeutung verstehen würde. Bisher kannte ich die Thematik nur aus den Medien, aus den Diskussionen von Menschen, die keine Ahnung haben, was es heißt, geflüchtet zu sein. Politiker, Linke, Rechte, Ahnungslose, Gläubige, Ungläubige. Jeder meint, es besser zu wissen und keiner hat eine Ahnung. Niemand hat eine Ahnung davon, was es wirklich heißt, Flüchtling zu sein.

Zuhören und lernen

Auch ich hatte keine Ahnung und habe mich deshalb mit meiner Meinung bedeckt gehalten. Ich wusste, dass ich bestimmt nicht zu der Gruppe gehören würde, die Angst vor Menschen hat, die alles verloren haben. Ich war mich aber auch nicht sicher, was ich davon halten sollte, wenn jemand einer von jenen ist, der aufgrund eines besseren Lebens nach Europa möchte, obwohl in seinem Land kein Krieg herrscht. Da ich mich niemals zu Themen äußere, von denen ich keine Ahnung habe, weil ich es anmaßend finde, habe ich mich still verhalten. Bis heute. Denn die Geschichte von M. hat in mir endgültig die Meinung gefestigt, dass jeder Mensch ein Recht auf ein besseres Leben hat, egal ob Krieg oder nicht.

Ich merkte, dass seine Geschichte bisher noch von niemandem gehört worden ist. Er ist sichtlich aufgeregt und hat vieles erlebt. Eine Frage von vieren war, wovor er Angst habe beim Workshop. Schon beim Aussprechen fühlte ich mich komisch. Wovor sollte ein junger Mann, der aus dem Iran geflohen ist und die letzen 22 Jahre in Ungewissheit gelebt hat, in einem Workshop Angst haben? Seine Antwort war: „I’m scared about my future.“ Denn er weiß nicht, ob er hier bleiben darf. Und er weiß nicht, wohin er gehen soll, wenn er nicht bleiben darf. Ich kenne ihn erst seit ein paar Minuten, aber ich hoffe für ihn, dass er bleiben darf.

Er lebt jetzt in einem Dorf in der Steiermark und verbringt viel Zeit mit Essen, Schlafen und seinem Handy. Da es nichts zu tun gibt und er den Tag irgendwie überstehen möchte. Hier hat er schon ein paar Freunde, mit denen er sich auf Englisch unterhält, da jeder von ihnen aus einem anderen Land kommt. Früher habe er „Futsal“ gespielt, aber hier kenne das niemand.

Altes Leben, neues Leben

In seiner Heimat war er von Geburt an ein Flüchtling, da seine Eltern beide nicht aus dem Iran stammen. Und im Iran werden angeblich alle Menschen, die nicht gebürtige Iraner sind, wie Flüchtlinge behandelt. Sie haben dort weniger Rechte und ein schweres Leben. Ein guter Grund, nicht dort zu bleiben. Ein guter Grund, sich nicht gut zu fühlen. Ein Grund, sich seiner Identität unsicher zu sein. Ein guter Grund, zu fliehen.

Ich spüre seine Verzweiflung und bewundere gleichzeitig seinen Mut. Den Mut, alles hinter sich zu lassen, in der Hoffnung auf ein neues Leben. Den Mut, sich fern von seiner Heimat ein neues Leben aufzubauen. Den Mut, sich ins Radio zu setzen und über das Erlebte zu sprechen. Den Mut, trotz so vieler schlechter Erfahrungen, sich wieder auf Menschen einzulassen. Auf Menschen, die man weder kennt, noch versteht.

Ich versuche mich einen Moment lang in seine Lage zu versetzen. Wie es für mich wäre, wenn ich in meiner Stadt Ausgehverbot hätte. Wenn ich keine Rechte hätte, nur weil meine Eltern im „falschen“ Land geboren sind. Ich frage mich, was ich getan hätte? Ob ich den Mut gehabt hätte, einfach zu fliehen. Über das Meer, die Berge, für eine ungewissen Zukunft.

Sympathie kennt keine Grenzen

Von allen Teilnehmern habe ich mich mit M. am Besten verstanden. Wir hatten im Workshop viel Blödsinn gemacht, waren albern und haben unendlich viel gelacht. Er hat mir Mut zugesprochen, als ich nervös war. Unsere Blicke sagten mehr, als tausend Worte es in jeglicher Sprache hätten sagen können. Und er hat jeden Satz seiner Geschichte so mitreißend erzählt, dass ich nun verstehe, worum es im Leben geht. Es geht nicht um die Sprache, um die Worte, es geht nicht um die Herkunft, oder die Hautfarbe. Es geht darum, Mensch sein zu dürfen. Es geht darum, Mensch zu sein.

Jeder Mensch hat ein Recht auf ein besseres Leben, wenn er das möchte. Ich konnte seine Sprache nicht und er meine nicht. Und dennoch haben wir uns blind verstanden. Ich wohne schon immer in Österreich, bin der Sprache mächtig, kenne die Gepflogenheiten und ich habe lange überlegt, mich ins Radio zu trauen. Er hat es einfach gemacht.

Dieser Text ist M. und seiner Geschichte gewidmet. Er hat dem Satz, den ich schon oft zuvor gehört habe „Warum hätte ich fliehen sollen, wenn in meiner Heimat alles gepasst hätte?“ eine Bedeutung verliehen. Ich wünsche ihm das Beste.

Berührte Grüße,
Eure Nicole

Text: Nicole Inez


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