Wie funktioniert eine Abhängigkeitsbeziehung?

Wie funktioniert eine Abhängigkeitsbeziehung?

2016-01-07 26 Von nicoleinez

„Ich kann ohne ihn nicht leben“. „Ich würde alles tun, damit sie mich nicht verlässt“. „Ohne dich kann ich nicht sein – mit dir bin ich auch allein.“ – Rammstein (aus „Ohne dich“). Was sich beim ersten lesen oder hören vielleicht als romantische Äußerung liest, kann auf den zweiten und kritischen Blick als ernst gemeinte Botschaft entpuppen. Und dann wäre das weniger lustig, wenn nicht sogar bedenklich. Schon Mal von einer Abhängigkeitsbeziehung gehört? Oder vielleicht schon selbst eine gehabt?

Was ist eine Abhängigkeitsbeziehung? Und wie äußert sich diese?

Als Erstes möchte ich gerne ein paar Bilder sprechen lassen, die euch fühl- und greifbar machen soll, wie man sich eine Beziehung dieser Art vorstellen kann:
Ein gemeinsamer Tanz in den Abgrund – Gemeinsam einsam – Zusammen und doch getrennt – Ich liebe es, dich zu hassen – Gemeinsam im sinkenden Lebensschiff untergehen, weil niemand davon abspringen kann…

Bestimmt kennt jeder von euch diese Paare. Diese Paare die einmal zusammen sind, dann wieder getrennt. Die Treffen für Treffen mit ihren Eskapaden überschatten, weil sie nicht Mal mehr in der Öffentlichkeit auf „heile Welt“ machen können. Oder jene, die einfach überhaupt nicht zusammenpassen, weil sie von verschiedenen Planeten kommen und sich weder sprachlich, noch emotional verstehen. Die Freunde, die immer nur unglücklich sind, aber darin scheinbar zu glücklich, um zu gehen.

Und so, wie die Beiden übereinander sprechen, würde man eigentlich meinen, sie reden von einer Person, die sie hassen. Doch es handelt sich um Liebe. Eine krankhafte Form der Liebe.
Beziehungsabhängigkeit kann man sich vorstellen, wie eine Sucht. Egal welche Sucht. Der Mechanismus ist derselbe.

Man braucht den anderen Menschen, ist ohne ihn nicht lebensfähig. Egal, was das Gegenüber tut, man kommt nicht los. Egal was man selbst tut, das Gegenüber kommt nicht los. Wobei das so zu einfach gesagt wäre: In einer Abhängigkeitsbeziehung gibt es nämlich fast immer einen Part, der mehr oder weniger den Ton angibt und sich mehr „erlauben“ kann. Der Gegenpart leidet dafür mehr als der andere.

Wie äußert sich eine solche Abhängigkeitsbeziehung?

  • Schlechte Behandlung. Ein Part ist offensichtlich abhängiger vom anderen. Einer ist meist abwertend, verletzend und unnahbar und der andere spielt mit und fühlt sich als hilfloses Opfer. In Wahrheit ist der „stärkere“ Part auch abhängig. Denn er braucht jemanden, den er quälen kann.
  • Emotionale Gewalt. Dies geschieht meist durch Manipulation, Unehrlichkeiten, Erpressung, subtile Gesten und nicht selten auch durch ausgesprochene Drohungen.
  • Abhängigkeit. Egal, was die andere Person tut, man kommt nicht los. Würde das Gegenüber das Geschäft auf dem eigenen Kopf verrichten (bitte nur sinnbildlich verstehen), man würde sich nicht trennen. Es gibt also kaum Grenzen für unangebrachtes Verhalten.
  • Seelischer Schmerz. Bei Trennungen erleben die Betroffenen oft einen nicht auszuhaltenden Schmerz, den sie nicht ertragen können und somit wieder zurück müssen.
  • Fehlendes Eigenleben. Viele Abhängige haben sich nie ein eigenes, eigenständiges Leben aufgebaut. Sie brauchen immer jemanden, der sie emotional trägt. Jemanden, mit dem sie ihr (meist nicht vorhandenes) Leben teilen können.
  • Trennungswunsch. Es besteht mindestens von einem Part ein beständiger Trennungswunsch. Dieser geht oft vom Unterdrückten aus, da dieser mehr eingeengt wird, als der Bestimmende. Dieser wird jedoch kaum vollzogen.
  • Ersatz. Gleich wie bei Drogen, braucht die Person einen Partner. Ob das nun dieser oder ein anderer ist, ist eigentlich egal. Es geht nicht um die Person an sich und dass man sie liebt. Es geht einfach darum, nicht allein sein zu können. Wenn Ersatz gefunden wird, ist eine Trennung eher möglich.
  • Verzweifelte Suche. Da man irgendwann merkt, dass man nichts gemeinsam hat, versucht man, sich irgendwas zu erschaffen. In vielen Fällen sind das Kinder. In der Hoffnung, dass diese die Leere füllen oder etwas an der krankhaften Situation heil machen.
  • Ausflüchte. Hier tendieren Männer eher dazu, sich in Arbeit zu flüchten. Frauen nehmen oft den passiven Teil ein und warten, bis der Mann von seiner Flucht zurückkehrt. Wenn Frauen flüchten, dann fast immer mit einer Freundin, Kind oder einem Haustier. Sie können allein nicht leben.
  • Aggression. Eine Abhängigkeitsbeziehung ist immer von sehr viel Aggression und Emotion geprägt. Hier geht es bei beiden Seiten nicht um Liebe, sondern um Verletzungen aus der Vergangenheit, Erwartungen und Enttäuschungen. Liebe ist vielmehr das Gegenteil all dessen.

Doch wie kann es sein, dass Menschen in einer Abhängigkeitsbeziehung bleiben, die sie ganz offensichtlich in den emotionalen und manchmal auch körperlichen und finanziellen Ruin treibt?

  • Die Beziehung zu den Eltern: Es rührt auf jeden Fall Mal von einer gestörten Beziehung zu dem jeweiligen Elternteil. Hatte ich beispielsweise einen Tyrann als Vater, werde ich mich solange Tyrannen als Partner suchen, bis ich meine Verletzungen aus der Kindheit geheilt habe. Hatte ich als Mann z.B. eine dominante Mutter, werde ich mir ebenfalls Frauen suchen, die mich dominieren. Ebenso lange, bis ich dieses Muster durchbrochen habe.
  • Erfahrungen der Vergangenheit: Wenn ich immer Beziehungen hatte, ihn denen ich schlecht behandelt wurde, dann werden mir viele Dinge, die gesunden Menschen auffallen, gar nicht mehr auffallen. Es fehlt ganz einfach der normale und gesunde Bezugsrahmen, den man nie hatte. Also gewöhnt man sich in einem gewissen Rahmen an die Behandlungsweise des Partners/der Partnerin.
  • Unterdrückte Gefühle: Natürlich fühlt jeder Mensch, der nicht durch Drogen oder Alkohol betäubt ist, wenn sich etwas nicht mehr richtig anfühlt. Doch das Beachten der Gefühle würde bedeuten, dass man daraus Konsequenzen ziehen müsste: Nämlich die Beziehung beenden mit all seinen Bequemlichkeiten und lieb gewonnen Routinen (seinen sie auch noch so pathologisch).
  • Verzerrte Wahrnehmung: Mit den Jahren stellt sich bei vielen unglücklichen Paaren eine objektiv betrachtet wahnsinnige Eigenschaft ein: Es wird alles schön geredet. Probleme, die Jahre zuerst unter den Teppich gekehrt wurden, existieren plötzlich nicht mehr. Und die 100 Eigenschaften, die einem am Partner nie gefallen haben, sind plötzlich „gar nicht mehr so schlimm“. Man hat sich darauf geeinigt, zusammen unter zu gehen. Nur nimmt man das jetzt nicht mehr wahr, weil man einen unausgesprochenen Pakt geschlossen hat.
  • Angst vor dem Leben: Abhängige Menschen wissen nicht, was es heißt zu leben. Sie existieren anhand der anderen Personen. Sie wissen oft nichts mit sich selbst anzufangen und haben große Angst, vor dem Leben und davor, darin allein zu sein. Deshalb ist es wichtig, immer jemanden zu haben, mit dem man sich „teilen“ kann.
  • Hoffnung auf Besserung: Es kann mitunter Jahre bis Jahrzehnte dauern, dass sich die Betroffenen Personen ernsthaft einreden können, dass sich der Partner ändern wird. Um 100 Prozent und dass dann die Beziehung harmonisch wird. Nicht beachtet werden hierbei die Tatsachen, dass sich Menschen ihn ihrem Wesen und in ihrem Grund niemals ändern werden. Außer sie wollen es. Doch ist es nicht Sinn einer Partnerschaft, dass sich jemand ändert.
  • Gemeinsame Verpflichtungen: Oftmals stützt sich eine Abhängigkeitsbeziehung auf Kinder. Und viele gehen dann zu Ende, wenn die Kinder außer Haus sind. Weil dann nochmal nach Jahren klar und deutlich wird, dass man sich eigentlich eh nichts mehr zu sagen hat. Es gibt auch Häuser, Freunde, Arbeitsplätze und andere Investitionen, mit denen man sich binden kann, um der Abhängigkeit mehr Sinn zu verleihen.

Es ist schwierig bis unmöglich, als abhängiger Mensch aus dem Kreislauf auszubrechen. Außerdem ist es nur dann notwendig, wenn nicht nur die Menschen in der Beziehung an der krankhaften Form leiden, sondern auch das Leben an sich den Bach runtergeht. Dann ist es höchste Zeit sich einzugestehen, dass man etwas ändern muss. Und dann sollte man am Besten professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Den Artikel möchte ich gerne mit einem Video und bezeichnenden Lied von einer meiner Lieblingsbands abschließen. Für mich stellt es klar diesen „Tanz der Abhängigkeit“ dar. Enjoy: You Don’t Know Love.

Grundsätzlich kann man sich immer die Frage stellen, ob eine Person seine Zeit Wert ist.

Liebe Grüße,
Eure Nicole

©Nicole Inez


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